Reisebericht von Julia Siebel

Berührend, bewegend, erhellend – das sind die ersten Schlagworte, die mir zu meiner Reise ins Maisha Mazuri Children Center einfallen. Völlig unbedarft starte ich Ende Oktober 2023, nur mit dem Wissen aus der Jahreshauptversammlung im Gepäck und dem guten Gefühl, mit Hand in Hand für Kenia eine Organisation zu unterstützen, bei der fast jeder gespendete Cent vor Ort landet. Das ist Ehrenamt in Perfektion! Schon die Fahrt vom Flughafen zur Schule ist gespickt mit beeindruckenden Bildern am Straßenrand. Für mich als Neuling in Kenia eine besondere Fahrt. Und dann bin ich da. Umringt von vielen freundlichen, lachenden Kindern strahlt der Ort vom ersten Moment an eine außergewöhnliche Ruhe und Unaufgeregtheit aus. Noch einmal: 32 Mädchen und Jungs um einen herum und der erste Eindruck ist chillig, entspannt und ausgeglichen. Man wird mit viel Herzlichkeit empfangen. Wenn ich jetzt nicht aufpasse, wird das hier statt des geplanten Reiseberichts eine Liebeserklärung.

Also ganz pragmatisch zurück zu Tag Eins und der Ortsbegehung: Die offene Küche mit Julius am Herd strahlt eine so angenehme Atmosphäre aus, dass man sich auf das Ugali freut, auch wenn es zugegebenermaßen nicht jedermanns Sache ist. Vermeintlich zivilisiert beginne ich den Ankunftsabend mit Löffel, um dann fröhlich mit den Fingern zu hantieren. Das gibt einen Hauch von Einheimischen-Touch. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Kinder mitarbeiten, ist vorbildlich. Sie agieren untereinander wie die Heinzelmännchen. Hand in Hand eben. Ich versuche mit mäßigem Erfolg, mir Namen zu merken und sie den richtigen Gesichtern zuzuordnen. Positiv überrascht bin ich von unserem Volunteer-Wohnbereich. Abgesehen von der kalten Dusche und den verwirrten Käfern, die von der Decke fallen, lässt es sich dort oben im ersten Stock gut aushalten.

Nach den vielen ersten Eindrücken am Abend meiner Ankunft bin ich müde, glücklich und einfach dankbar, hier sein zu dürfen. In den folgenden Tagen lerne ich das vielseitige Areal mit all seiner Schönheit, aber auch mit all seinem noch ungenutzten Potential kennen. Mit Michael und Josef machen wir uns auf den Weg zur Shamba. Was für ein herrliches Fleckchen Erde! Selbst nach so vielen trockenen Wochen. Man möchte sofort mit Boniface dort anpacken; für ihn alleine ist das zu viel Land zum beackern und -arbeiten. Am Nachmittag ist der sagenumwobene Jimmy im MCC und ich lausche gebannt den vielen Themen, die Barbara und er zu besprechen haben. Die gute, harmonische Stimmung im Team zeigt sich beim MCC-meeting mit den zehn Festangestellten und den drei Volunteers.

Neben all den vielen positiven Aspekten wird aber durchaus deutlich, dass es mehr als genug Baustellen gibt. Manchmal fragt man sich, was passieren würde, wenn man nicht mit der „deutschen Brille“ auf fehlende Wassertanks, kaputte Photovoltaikanlagen, nicht funktionierende Regenrinnen und tausend andere Dinge hinweisen würde. Das gleiche Bild zeigt sich beim Meeting mit allen Lehrern und mit Nicholas, dem Rektor der Secondary School. Die Schülerleistungen sind in diesem Jahr schlecht, im Lehrerkollegium macht sich Ratlosigkeit breit, von Lösungsansätzen ist wenig zu hören und zu sehen. Beim anschließenden Rundgang durch die Klassenräume fallen zudem zahlreiche reparaturbedürftige Schultische, Stühle und zerbrochene Fensterscheiben auf. Man kann sich nur wundern, dass sich weder die Schulleitung noch das Lehrerteam dafür verantwortlich fühlen.

Ich merke, wie ich manche Themen immer wieder mit deutscher Naivität anfliegen möchte. Die Realität aber zeigt, unsere Logik lässt sich nicht per Blaupause auf die kenianische Mentalität übertragen. Das Stirnrunzeln ist noch nicht vorbei, da passieren kleine Geschichten wie die, dass es mehr oder weniger über Nacht einen Bäckermeisterwechsel in der Schule gibt. Der fest angestellte Bäcker kündigt von heute auf morgen wegen eines besser bezahlten Jobs, Michael macht sich auf die Suche und siehe da: 12 Stunden später zieht der neue Bäcker schon leckere Donuts aus dem Ofen. Da können wir uns eine Scheibe vom kenianischen Pragmatismus abschneiden.

Bei aller Kritik: Die Secondary School ist auf einem guten Weg. Mit einer eigenen Landwirtschaft, einer großzügigen Bäckerei und den Unterrichtsfächern Hauswirtschaft und Nähen hat sie ein erweitertes, besonderes Schulprogramm zu bieten. Dazu kommt ein vielfältiges Computerangebot. Also alles da, um für ein Leben im Erwachsenenalter vorbereitet zu werden. Ein einzigartiges Konzept, dass Zeit zum reifen braucht. Wir nehmen mit Mitarbeitern der Schulen und des MCCs an einem Children Safety & Health Care Day teil und da zeigt sich die Offenheit des Teams, etwas bewegen zu wollen. Staunend verfolge ich, wie den ganzen Tag über zweisprachig durcheinander kommuniziert und oft mitten im Satz die Sprache von Englisch zu Suaheli und zurück gewechselt wird.

Die Zeit auf dem MCC-Gelände ist so kurzweilig, dass man Zeit und Raum verliert und das Leben außerhalb von Heim und Schule nicht vermisst. Ab und zu kommt man doch mal raus. Der Ausflug mit Jimmy führt Barbara und mich über die Berge mit Terrassen aus roter Erde und einem Blick in die Weite des Landes nach Machakos. Und wir schlendern über den Markt von Tala mit seinen vielen Gemüseständen und bunten Körben. Schon die Fahrt mit dem Matatu, dem kenianischen Sammeltaxi, ist ein Erlebnis.

 

Die Sozialarbeiterin Linnet ermöglicht mir einen Besuch im Slum Mathare am Stadtrand von Nairobi. Einige unserer MCC-Kinder kommen von dort, vielen wird durch das Maisha Mazuri Projekt ein Schulbesuch ermöglicht. Eine wirkliche Chance für die Kinder und Jugendlichen. Die Menschen versuchen, in Würde zu leben, was unter den gegebenen Umständen wahrlich keine leichte Aufgabe ist. Es ist herzzerreißend zu sehen, welche Freude man einzelnen Familien mit zwei Kilo Mehl und etwas Zucker bereiten kann. Hinter jeder Wellblechhütte verbirgt sich eine eigene Familiengeschichte.

Zurück nach Nguluni: 15 Minuten vom MCC entfernt besuchen wir Grandma Rosemarie in ihrem undichten kleinen Häuschen, in dem sie sich um sechs Enkelkinder kümmert. Ihre leiblichen Kinder sind nicht in der Lage, etwas zum Familienunterhalt beizutragen. Sie leben zu acht auf engstem Raum und mit Shirleen wird nun das sechste Kind in der Primary School aufgenommen, das siebte steht bereits auf der Warteliste. Bei Rosemarie in der Hütte wird spürbar, wie weitreichend und grundlegend das Maisha Mazuri Projekt Früchte trägt. Es gibt nicht nur den einzelnen Kindern eine Chance im Leben, sondern es unterstützt ganze Familien und verändert die gesamte Infrastruktur der Region immens zum Positiven. Viele Betriebe, Handwerker und casual worker sind seit Jahren in das MMP eingebunden, es kommt mehr Geld in Umlauf, die Menschen in der Gegend nutzen es für neue Geschäfte und letztlich geht es vielen, vielen kenianischen Familien besser.

Ich führe lange, spannende Gespräche; z.B. mit Michael, inzwischen Führungskraft im MCC, der mir von seiner eigenen Kindheit in Armut erzählt und wie er sich mit viel Willenskraft aus dieser befreien konnte, oder mit der Lehrerin, Madame Anita, deren Mutter nur 14 Jahre älter ist als sie und die sich ihr Studium mit dem Verkauf von Donuts verdienen musste. Ich stehe auf dem staubtrockenen Fußballfeld zwischen der Secondary School und dem MCC und kann mir nicht vorstellen, dass dieses Stück Land vor zehn Jahren noch brach lag.

 

Dickes Kompliment an alle Ehrenamtlichen von Hand in Hand für Kenia. Ihr habt dort neben dem monetären Einsatz mit Energie, Kraft und sicher auch mit sehr viel Herz einen magischen Ort geschaffen. Das kenianische Team gibt sein Bestes um die Kinder bei ihrer Entfaltung zu unterstützen. Mit dem Maisha Mazuri Children Center, der Primary und Secondary School, der Landwirtschaft und dem Skills Center, in dem einige direkt nach der Schule eine Ausbildung anhängen können, ist bereits etwas Großes entstanden.

Ich dachte, ich könnte mit anpacken – Möhren pflanzen, Wände weiß streichen, Nachhilfe geben oder was auch immer. Am Ende fühlte ich mich wie ein „Consultant Assistant“ an Barbaras Seite, der zehn Tage lang ununterbrochen reich beschenkt wurde.

Sowohl die Kleinen im Kinderheim als auch die Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schule, die mitten in ihren Abschlussprüfungen steckten, verzaubern einen mit ihrer Aura. Fast alle haben immer ein Lächeln auf den Lippen, zeigen sich aufrecht, stark, zuversichtlich und vor allem bescheiden und dankbar. Es ist die Dankbarkeit, die mich zu diesen jungen Persönlichkeiten wirklich aufschauen lässt. Ob wir die verstaubte Straße entlang in Richtung Primary School joggen, zusammen den Sonntagsgottesdienst besuchen, gemeinsam mit kaltem Wasser das Geschirr spülen oder die Wäsche gewaschen wird: Die Stimmung ist voller Hoffnung und Zuversicht. Selbst beim täglichen, hart umkämpften Fußballspiel erlebt man Harmonie pur – und eben Dankbarkeit.

Man merkt gar nicht, wenn Team und Kinder sich absprechen, es läuft immer alles in vollster Gelassenheit wie am Schnürchen. Pünktlich um 09:00Uhr ist Bettruhe, ohne viel Aufhebens. Man muss die Meilenstiefel in Europa lassen und mit kleinen Schritten den Menschen vor Ort helfen, ihr noch schlummerndes Potenzial weiter zu entfalten. Die Mentalitäten werden unterschiedlich bleiben, aber gemeinsam können wir dieses großartige Projekt wachsen lassen. Die wunderbaren Kinder machen es uns vor, wie es geht.

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